Paul Tiedemann: Name ist Ehre und Anspruch

Am Sonntag, dem 21. September 2014, ist Paul Tiedemann im Alter von 79 Jahren im Seniorenheim Treffling in Engerwitzdorf bei Linz gestorben.

Als seine Königsberger Heimat an die Sowjetunion angegeliedert und Paul mit seiner Familie vertrieben wurde, landete er in der Stadt Radeburg. Schwere Schicksalsschläge zeichneten sein Leben. Vier Geschwister hatte Paul bereits verloren. Nachdem er an der hiesigen Grundschule in Radeburg, zwei verlorene Schuljahre nachholte, bei denen er besonders von Lehrer Wolfgang Ulbricht gefördert wurde, der ihm den Weg übers Abitur zur Sporthochschule vorzeichnete, ging er an die Oberschule (Gymnasium) in Radebeul und wurde zum aktiven Sportler bei der BSG Traktor Radeburg. In seiner Freizeit spielte er sowohl Feldhandball als auch Fußball. 1954 begann er sein Studium bei der DHfK und gleichzeitig verstärkte er das im Aufbau befindliche gleichnamige Handballteam, das seinen Weg bis an die Spitze des DDR-Handballs machte. Das Studium schloss er 1957 mit dem Sportlehrerdiplom ab. Kaum ein Jahr Student war er schon Nationalspieler und hatte maßgeblichen Anteil an den Erfolgen des DDR-Handballs in jener Zeit.

Paul Tiedemann in Linz (Foto: privat)
Paul Tiedemann und der Europapokal 1966 in Paris (Foto: privat)

Eine Leipziger Zeitung zählte ihn damals zu den weltbesten Handballern aller Zeiten.

Am Ende seiner Spielerkarriere konnte er auf 100 Länderspiele verweisen, schoss dabei 303 Tore. Darunter 30 Spiele auf dem Großfeld (82 Tore).
Die sich anschließende 30jährige Trainerkarriere war nicht minder erfolgreich. Er begann sie als Trainer einer neu zu formierenden DHfK-Mannschaft. Trainierte gleichzeitig auch den DHfK-Nachwuchs, die Junioren- und B-Nationalmannschaft und war Co-Trainer des A-Nationalkaders. 1976 verpasste die DDR auf dramatische Weise nur durch schlechteres Torverhältnis und einen verschossenen 7-Meter in letzter Sekunde gegen die BRD die Olympiaqualifikation, worauf der langjährige Nationaltrainer Heinz Seiler sein Amt niederlegte und Tiedemann das Amt übernahm, das er bis zum Ende des Jahres 1988 inne hatte. Während dieser gesamten Zeit war sein langjähriger Weggefährte und späterer Nachfolger Klaus Langhoff sein Assistenztrainer. 

Tiedemann führte das DDR-Team zurück an die Weltspitze. Nach der gegen Schweden durch einen Freiwurf in letzter Sekunde verlorenen B-WM 1977, folgte ein 3. Platz bei der A-WM in Dänemark.

Viele seiner ehemaligen Spieler (u.a. Klaus Langhoff, Erwin Kalderasch, Lothar Fährmann) haben sich und treffen sich heute noch an unterschiedlichen Orten in Deutschland und Europa und lassen die Vergangenheit aufleben, besonders den legendären 23:22-Olympiasieg über Gastgeber und Titelverteidiger UdSSR, aber auch über den Olympiaboykott 1984. Bei den ersatzweise ausgetragenen „Wettkämpfen der Freundschaft“ besiegte die DDR zwar im Finale wieder die UdSSR, aber das war kein Trost für einen nicht unwahrscheinlichen erneuten Olympiasieg. Auch nicht, dass Spieler und Trainer den Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold erhielten. Eine ganze Spielergeneration wurde damals um ihre sportliche Chance betrogen. Mit dem Umweg über die B-WM schafften die Tiedemann-Schützlinge 1986 noch einmal den 3. Platz bei der A-WM, bevor Paul sein Amt an Klaus Langhoff abgab.

Ein langjähriger Weggefährte Klaus Langhoff erzählte eine Episode, die Pauls enges Verhältnis zu seinen Eltern dokumentiert.

Der DDR-Nationalmannschaft wurden bei einem Auslandsaufenthalt sämtliche Pässe gestohlen. Da bald ein Wettbewerb in Bratislawa anstand, wurden provisorische Ausweise ausgestellt. Mit Pauls Ausweis stimmte etwas nicht, so dass er in Schmilka aus dem Zug geholt wurde. Da sich die Aufklärung hinzog, fuhr der Zug ohne den Nationaltrainer weiter. Etwa zwei Stunden später bedauerten die Grenztruppen ein Missverständnis und erboten sich, ein Taxi zu organisieren, das Paul nach Bratislawa bringt. Er lehnte den „unangemessenen Aufwand“ ab und, weil er schon mal in der Nähe war, nutze er die gewonnene Freizeit, um seine Eltern in Radeburg zu besuchen. 

Seine Trainerkarriere setzte Paul in Ägypten fort und führte die Nationalmannschaft 1991 zum Afrika-Meistertitel. Seine Frau Karin Tiedemann, die er an der DHfK kennenlernte und 1961 heiratete, starb an den Folgen eines 1990 in Kairo erlittenen Verkehrsunfalls. Sie wurde an einer Haltestelle von einem Linienbus angefahren. Ein Milzriss wurde von den dortigen Ärzten übersehen und als dieser nach Überführung und Einweisung in die Charité dann entdeckt wurde, war es bereits zu spät. Karin hatte noch gehofft, in Berlin ihre kurz zuvor geborene Enkeltochter sehen zu können. Auch dies glückte nicht.

Eine weitere Tragik in Pauls Leben. Trotz der vielen Schicksalsschläge ist er aber allen, die ihn kennen als ruhiger, zurückhaltender Mann bekannt.

Als Trainer war er eher das Gegenteil von einem Heiner Brand. Paul Tiedemann war jemand, der stets ruhig auf seiner Bank saß, sich äußerlich nicht über Schiedsrichter aufregte und auch sonst scheinbar durch nichts aus der Ruhe zu bringen war. Dass er auch laut und bestimmt werden konnte, wenn es notwendig war, wissen eigentlich nur seine Spieler, aus dem engsten vertrautesten Kreis. Vor der Kamera trat er nie extrovertiert oder laut auf.

Am 13.09.2014 wurde die Radeburger Sporthalle in die Paul Tiedemann Sporthalle, mit einem festlichen Rahmen im Rathaus der Stadt, vielen „reifen“ Wegbekannten um Paul Tiedemann, den Kindern, der Lebensgefährtin H. Fehrer und dem jetzigen DHB Präsident Andreas Michelmann umbenannt.

Paul Tiedemann starb am 21.09.2014 nach langwierigen und schweren Viruserkrankungen.

Er hinterließ 2 Kinder – Katrin + Jörg.

Der KJS- Club Dresden e.V. erhielt den Auftrag von der Familie von Paul Tiedemann, den Namenzusatz „Paul Tiedemann Verein“ zu tragen. Der Kontakt zur Lebensgefährtin H. Fehrer und den Kindern, sowie den ehemaligen Spielern besteht seitens des KJS- Club Dresden e.V. weiterhin. Zu allen Heimspielen hängt ein Tiedemann- Banner, in Gedenken und Ehren.

Paul Tiedemann und Klaus Langhoff (Foto: privat)

Paul Tiedemann, wir alle sind stolz auf Dich!

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